Der neue Bahnhof Gossau

Ausgangspunkt: der Aufschwung von Gossau

Gossau erlebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen beträchtlichen Aufschwung, sowohl bezüglich Bevölkerungszahl wie auch betreffend Industrie und Bahnverkehr. Bereits 1904 wurde deshalb ein Projekt ausgearbeitet, das eine Erweiterung der ungenügend gewordenen Bahnhofanlagen am alten Standort vorsah. Von 1908 und 1909 datieren weitere Varianten, welche bereits die Einführung der AB, zum Teil sogar am alten Standort, enthielten. Dabei sollte der südliche neue AB-Teil mit einer Passerelle über die SBB-Gleise erschlossen werden, während die Normalspur weiterhin ohne Perronausbauten geblieben wäre.

Drei Gründe für die Verlegung des Bahnhofs

Der Gemeinderat Gossau schrieb am 10. November 1909 an den Regierungsrat (Baudepartement) des Kantons St. Gallen: «Die Beseitigung des Niveauüberganges Herisauerstrasse bildet den Hauptgrund zur Verlegung der Station nach Süden».

Die Verlegung hatte mindestens drei wichtige Gründe: Erstens wollte die Gemeinde den stets anwachsenden Verkehr aus dem Zentrum drängen, den kritischen Bahnübergang Herisauer-strasse beseitigen und Platz für die künftige Entwicklung schaffen. Zweitens suchten auch die SBB den Komfort für die Kunden zu erhöhen und den Betrieb sicherer und flüssiger abzuwickeln. Dazu gehörten neue Gleis-, längere Perron- und mechanische Sicherungsanlagen, ebenso die schrittweise wachsende Doppelspur auf der Transversalen Genf–St. Gallen. Seitens SBB bestand auch der Druck, die – zum Teil internationalen – Schnellzüge nicht zweimal so kurz hintereinander (in Winkeln zum Anschluss nach Appenzell, in Gossau zum Anschluss nach Bischofszell) anhalten zu lassen. Drittens war die geplante Einführung der neuen AB-Linie entscheidend. Alle diese Faktoren führten zum Neubauprojekt und 1913 zum heutigen Bahnhof Gossau.

Inneres der Wartehalle

Im Eröffnungsjahr blieben die Hochbauten der Bahn und das gegenüber liegende Hotel Quellenhof noch allein auf weiter, sonst unbebauter Fläche. Dieses markante fünfstöckige Gebäude wurde am gleichen Tag wie der neue Bahnhof eröffnet. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde das Gebiet mit Industrie- und Wohnbauten übersät.

Der neue Bahnhof kam auf den 1. Oktober 1913 in Betrieb. Erst in der vorangehenden Nacht wurde der Betrieb zwischen Winkeln und Flawil auf die neuen Gleise umgelegt.

Aus verschiedenen Projekten entstand (nach Diskussionen zwischen SBB, Gemeinde und Regierungsrat) termingerecht das heutige Aufnahmegebäude, das vom Dach bis zu den Türen im Erdgeschoss durch die weichen, geschweiften Linien auffällt. Es entsprach dem damaligen künstlerisch-ästhetischen Empfinden. Zur vorgelegten Variante schrieb der Gemeinderat: «Es wird gewünscht, dass das Aufnahmegebäude eine weniger konventionelle als zweckmässige und mit der Bedeutung der Station angemessene Ausgestaltung erhalte und in seiner architektonischen Form den neuzeitlichen Anschauungen Rechnung trage».


                                                    Die hervorragend restaurierte Perronüberdachung

Worüber man doch streiten kann ...

Diskussionen ergab ein ursprünglich kreuzförmiger Anzeiger auf dem Dachreiter. Er ärgerte einen Liegenschaftsbesitzer so stark, dass er wegen dieses christlichen Symbols einen Minderwert für die benachbarten Bauplätze geltend machte. Die SBB musste sich leicht anpassen, indem man an allen vier Armen die Buchstaben der Himmelsrichtungen anbrachte und das Kreuz so zur Windrose machte. Damit war der Interpellant zufrieden.

Das Gebäude ist denkmalgeschützt als "harmonische und ortsbildprägende Bahnhofanlage mit Einflüssen des Heimatstils und des einheimischen Barocks". Schützenswert sind auch die Bahnsteige, Perrondächer, Güterschuppen und Postkarrenremise»1. Auffällig sind auch das muschelartige Vordach auf der Stadtseite und die hölzernen Eingangstüren im Jugendstil. Alle diese Details entsprachen dem damaligen Zeitgeist.