Gossau wird wichtiger, der erste Bahnhof

Wie Gossau zum Bahnhof kam

Zur Erschliessung der Ostschweiz und als erste Etappe einer Alpentransversale (als "Splügenbahn" bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Diskussion) kam die Bahn Winterthur–St.Gallen (später verlängert bis Rorschach und Chur) der «St.Gallisch-Appenzellischen Eisenbahngesellschaft» (SGAE) am 15. Februar 1856 in Betrieb. Das imposante Gebäude des St. Galler Bahnhofes wurde nach 1924 in den oberen Stockwerken während Jahrzehnten von der SBB-Verkehrskontrolle für die Abrechnung des Güterverkehrs genutzt (heute Klubschule Migros). Der erste Fahrplan bot für Gossau je 3 Zugverbindungen in beide Richtungen; die Fahrzeit von Gossau nach St. Gallen betrug dabei 27 Minuten, jene nach Zürich etwa 4 Stunden. - In Winkeln hielt kein Schnellzug.

Auslöser: die 'Bischofszeller Bahn'

Nach dem Bau der Nordostbahn (NOB) von Winterthur über Weinfelden nach Romanshorn und der Vereinigten Schweizer Bahnen (VSB) von Winterthur über Wil - Flawil nach St. Gallen suchte auch das bisher planerisch vernachlässigte Städtchen Bischofszell den Anschluss an die weite Welt. Eine Querspange zwischen den Punkten Sulgen und Gossau schien am ehesten realisierbar. So konnte nach namhafter finanzieller Beteiligung von NOB, der Kantone und Gemeinden (vor allem Bischofszell mit 50%) am 5. Juli 1876 mit Baukosten von 3,8 Mio Fr. die eigene Bahngesellschaft «Sulgen-Gossau» eröffnet werden. Sie wurde auch etwa «Bischofszeller Bahn» genannt, von Anfang an durch die Dampfzüge der NOB betrieben und besass kein eigenes Rollmaterial. Nach erneuten finanziellen Problemen kam die Bahn 1885 in Konkurs und wurde auf den 1. August 1885 an die NOB verkauft. Der Erlös von 1,5 Mio Fr. deckte aber die Baukosten nicht einmal zur Hälfte. Geblieben ist von der einst eigenständigen Gesellschaft einzig noch die separate Kilometrierung ab Sulgen, sie erreicht mit km 22.950 den damaligen Endpunkt Gossau. Bauliche und betriebliche Schwachstellen mit Gewichtsbeschränkungen bilden bis heute allerdings die stählernen Brücken bei Sorntal (Hauptwil) und Sitterdorf.

Wo stand der Bahnhof Gossau ursprünglich?

Zwischen 1856 und 1913 lag der Bahnhof rund 320 m nordwestlich des heutigen Areals, und zwar im Bereich von heutiger Markthalle und Parkplatz. Dieser Standort lag in einem damals nur schwach überbauten Gebiet am südlichen Rande des Dorfes; geachtet wurde einzig auf einen günstigen Zugang ab der Herisauerstrasse. Gerade diese sollte sich jedoch später, mit zunehmendem Bahn- und Strassenverkehr, äusserst negativ auswirken. Das Bahnhofgebäude selbst lag südlich des Hauses Gutenbergstrasse 8, wo sich damals Gemeindehaus und Post befanden (heute «Altes Gemeindehaus», Volksbibliothek und Sozialdienste). Die alte Güter- und Rangieranlage war grosszügig ausgebaut und umfasste in ihrer grössten Breite 10 Gleise nebeneinander.

Hauptärgernis: die dauernd geschlossenen Bahnschranken

Kritisch wurde schon früh der Bahnübergang Herisauerstrasse. Nicht nur für die Zugfahrten, auch für viele Rangiermanöver sowie beim Umfahren der Züge aus Sulgen mussten nach Zählungen im Jahr 1909 die Schranken insgesamt über 100 Mal pro Tag und gesamthaft während 3-4 Stunden geschlossen werden. Je nach Fahrplan konnten die Schliesszeiten bis 11 Minuten betragen. Das verärgerte die Benützer sehr. Ein Bewohner, der unter den geschlossenen Schranken durchschlüpfte und dafür 5 Franken Busse bezahlte, wandte sich an den Gemeinderat mit dem Antrag, man möge veranlassen, «dass der Barrierenwärter nur für diese Aufgabe da sei und nicht andere Arbeiten als Rangierer oder Weichenwärter übernehmen müsse» (Protokoll des Gemeinderates). Immerhin stand für pressante Fussgänger eine bescheidene Unterführung zur Verfügung.

Spuren des ersten Bahnhofs in Gossau

Als Erinnerung an den ersten Standort ist immer noch das «Hotel zum alten Bahnhof» in Betrieb; die eingleisige Bahn nach Flawil führte auf der Südseite daran vorbei und würde ungefähr der heutigen Bedastrasse entsprechen. Die Linie nach Sulgen hatte einen engeren Radius und würde etwa den heutigen Strassenzügen Ring- und Gerenstrasse folgen. Das ehemalige, mit 640 m Länge recht ausgedehnte Bahnareal erstreckte sich von der Herisauerstrasse ostwärts etwa bis zum Bereich Negrellistrasse/ Negrelliweg. Auf der Südseite befand sich ein Lokschuppen, in der südöstlichen Ecke – etwas umständlich zu erreichen – eine Drehscheibe. Sie lag etwa an der heutigen Kreuzung Mooswiesstrasse/Hirschenstrasse und begrenzte die Anlage gegen Südosten.

Von Flawil her gesehen, zweigte die alte, einspurige Bahn etwa beim Armbrust-Schützenstand von der aktuellen Linie ab, und zwar dort, wo heute eine leichte Rechtskurve zum heutigen Bahnhof führt. Nach dem eigentlichen Bahnhofgebiet führte das Gleis etwa entlang der Mooswiesstrasse in einer langen geraden Linie nach Winkeln. Das Jahrzehnte lang mit «Sylvester Schaffhauser» beschriftete Gebäude markiert (nicht zuletzt dank seines Anschlussgleises) die Vereinigung mit dem heutigen Trassee. Die erste Gleislage von 1856 wurde somit auf rund 2,3 km neu angelegt. Richtung Arnegg liegt die Schnittstelle zwischen altem und neuem Trassee bei Bahnkilometer 21.2 und somit (für Ortskundige) beim Bahnübergang Sommerau.

Das erste, traufständige Bahnhofgebäude der Einheitsbauart von 1856 war ein einfacher Baukörper mit Satteldach, hatte 6 Fensterachsen und war somit grösser als der (noch bestehende) zeitgenössische Nachbar in Winkeln. Nachdem es seine Funktion verlor, wurde es anfangs 1914 Stein um Stein demontiert und an neuer Stelle wieder mit Erweiterungen als «Magazinbaute mit Wohnungen» aufgebaut (Flawilerstrasse 26, etwa beim früheren Trassee nach Sulgen, Areal Gebr. Eisenring AG). Der Charakter als Bahnhof ging dabei durch Ausbauten im Dachgeschoss und weitere Änderungen etwas verloren. Die Materialkosten waren damals höher als die Arbeitslöhne, heute wäre es umgekehrt. Verschiebungen und Neuaufbau von Gebäuden waren damals gar nicht so selten; so standen der Bahnhof von Bäch ursprünglich in Cham und jener von Zürich Wollishofen bis 1897 in Zug.